BEUNRUHIGENDE ALLTAGSVISIONEN (Lorenzo Canova) Stampa E-mail

Enzo Amendola ist ein rätselhafter Künstler, ein nur scheinbar lyrischer und beruhigender Maler, der für unaufmerksame Augen der Betrachter sehr riskante Illusionen schafft. Der Leitfaden, der sich durch alle Werke Amendolas zieht, begründet sich in einem Gesetz der überraschenden Verblendung, in einer Distorsion der Wahrnehmung, welche ganz plötzlich ebenso glaubwürdige wie absurde Spektakel komponiert, mit dem einzigen Ziel, das auch noch so skeptische Auge in die Irre zu führen.
Fast unmerkbar, gesellt sich der Künstler auf Seiten der Meister der Täuschung, erscheint als strenger Erfinder von Labyrinthen, in denen die Traum-Dimension häufig bewusst und blitzartig in die eines Alptraums umschlägt. Diese Situation wird noch stärker „verkehrt“, einerseits durch die tadellos akkurate Genauigkeit der Maltechnik, andererseits durch die bewusste Absicht des Künstlers, Blicke und Gedanken des Betrachters zu verwirren.
Die verfremdete Klarheit der Bilder Amendolas fundiert auf einer starken architektonischen  Strenge, die ihrerseits jedoch von unterirdischen Vibrationen agitiert wird. Zeichen schwingen zwischen den Falten seiner Perfektion, Wellen bewegen sich unter einer undurchdringlichen und erstarrten Oberfläche wie Klangimpulse einer allarmierenden Harmonie.
Amendolas „Halluzination“ entwickelt sich aber keineswegs aus einem surrealen Raster, ihr Ursprung liegt vielmehr in der italienischen und deutschen Metaphysik (bereits von vielen Kritikern beschrieben: Mario Lunetta, Domenico Guzzi, Sissi Aslan, Marcello Venturoli, Giacomo Porzano). Diese, lexikalisch erweiterte Metaphysik bereichert sich an den Erfahrungen des Künstlers mit einer speziellen amerikanischen Bildsprache von Malern, die sich bewusst dem Hyperrealismus verschreiben, und italienischen Kollegen der darstellenden Malerei aus den 60er und 70er Jahren.
Auf diesem Nährboden, scheint Amendolas  Werk nicht allein vom Impuls angeregt zu werden, in die Fußstapfen De Chiricos oder dessen Vorgängers Arnold Böcklin zu treten, nein, es geht ihm vielmehr darum, eine parallele Realität zu schaffen, eine Welt, in der sich die Routine des Alltags mit der Welt des Traums verschweißt und damit unsere Fähigkeit zerstört, das zu erkennen, was wir als  „Wahrheit“ interpretieren.
Auf diese Weise dominiert wieder die „Halluzination“ dieser Bilder, macht scheinbar vollkommen unschuldige,  alltägliche Umstände bedrohlich und geheimnisvoll, trägt unseren Blick außerhalb der gewohnten Grenzen. All dies vollendet Amendola mithilfe einer Anzahl von sehr wirksamen Fallen und Instrumenten, welche ausgesprochene „Kurzschlüsse“ in unserer Wahrnehmung der Realität auslösen.
So scheint zum Beispiel ein Bild wie „Finestra al mare“  (Das Fenster zum Meer)  (2001) vordergründig als heiteres Bild einer Sommerterrasse mit erholsamen Ausblick: der Gesamteindruck dieses Bildes ist vorerst beruhigend… und dennoch, verschiedene Elemente erscheinen unpassend und sollen einem aufmerksameren Auge als suspekt oder seltsam auffallen.
Die Frage scheint sich aufzudrängen: warum wirft dieser Liegestuhl im Bild keinen Schatten? Der Künstler kennt Schatten sehr gut, im Verlauf seiner Architektur-Studien lernte er alles über die Gesetze von Licht und Schatten (bestens angewandt zum Beispiel in seiner Tempera-auf-Karton Zeichnung, 2001,  „Tennisschuhe“ (Scarpe da Tennis). Und trotzdem, dieser Liegestuhl wirft keinen Schatten, erscheint wie herausgelöst aus der Ebene der Terrasse, und nicht wirklich als Bestandteil. Dieser „angeklagte“ Liegestuhl könnte auf eine Art künstliche Realität schließen lassen, die der Künstler durch kleinste Details, scheinbar ganz banale Dinge, verrät.
Sicherlich, auch andere Elemente schaffen eine beunruhigende Suspension, wie z.B. das glatte, wellenlose Meer oder die Küste, die, als sei sie gerade erst jetzt an den Horizont gestellt erscheint. Das große Rätsel in dieser Szene eines strahlend schönen Sommertags aber ist und bleibt der Liegestuhl.
Hätte also Amendolas Terrasse zum Meer in einem Film als Tatort eines Verbrechens Pate gestanden (so ähnlich wie in Michelangelo Antonioni’s  Blow-Up oder Peter Greenaway’s  I Misteridei Giardini di Compton House (Originatitel: The Draughtsman’s Contract), so wäre dieser Liegestuhl ganz sicher der Schlüssel zur Lösung des komplizierten Tatgeschehens gewesen.
In diesem Zusammenhang denkt man unweigerlich an jene „Metaphysik der Alttagsgegenstände“ (die vor allem De Chirico, Carra’ oder Morandi am Herzen lag), und bei der die einfachsten Gebrauchsgegenstände scheinbar voller Geheimnisse stecken. Amendolas visuelles und begriffliches Verständnis enthält darüber hinaus eine (vielleicht unbewusste, aber in jedem Fall unbeugsame) subtile und raffinierte Veranlagung zum Grausamen, das die rein äußerliche Unschuld seiner Bilder auf die Spitze treibt. Diese Art von Veranlagung kennzeichnet auch sein Werk Poltrona bianca (Weißer Sessel), in dem nicht das Geheimnis der fast vollkommen fehlenden Schatten in einem taghellem Raum das Konzept beherrschen, sondern in welchem der Künstler mit verschiedenen Stufen von Dunkelheit Gesichter und Objekte wie von einem Blitz (-licht) entfacht darstellt und mit diesem Flash der Szene eine Grelle verpasst, in der Raum und  Zeit wie aufgehoben erscheinen. Der Sessel kommuniziert mit der Frau im Vordergrund, als bestehe da eine Art Synthese zwischen Organischem und Künstlichem, zwischen dem weiblichen Körper (der sich aus dem Schwarz löst als ginge es um eine innere Transformation der eigenen Materie) und der irrealen Helligkeit des Möbels (mitten in grellem schwefeligem Licht). Das Ganze steht wiederum im Kontrast mit überraschenden Details, die blass im Dunkel dieses Zimmers schimmern, einem Zimmer, dem jegliche glaubwürdige Perspektive fehlt; ein Zimmer, das zweigeteilt durch eine Gerade mit kaum sichtbarem Himmel und Meer, das schon großes Unbehagen noch verstärkt, welcher dieser Raum ohne sichtbare Logik verbreitet, und das allein mit Gesetzmäßigkeiten des Alptraums, der Unterwelt zu rechtfertigen ist.
Zu dieser verschlossenen, aufeinanderfolgenden Bilderserie gehört auch Notturno (2002).
Auch hier besteht wieder eine geheimnisvolle Begegnung, eine geträumte Verbindung zwischen einer schlafenden Frau und einem in blaues Abendlicht getauchte Haus, eine bildhafte Verschmelzung, die den Betrachter in Windungen voller absichtlich bewirkten Unsicherheiten allein lässt. Der Künstler hält auch dieses visuelle Rätsel bewusst ungelöst:  liegt die junge Frau vielleicht nur auf dieser Terrasse, die vom Nachbargebäude überragt wird? Oder wird das Ganze nur von ihr geträumt, uns auf einem futuristischen Bildschirm vorgespielt, der mit den Gehirnströmen dieser Frau verbunden ist? Oder illudiert uns der Künstler vielleicht nur die Wände dieses Zimmers, in dem die Frau liegt… und diese Wände haben sich verflüchtigt, um uns das Gebäude freizulegen, das sich über den Traum der Frau beugt?
Wie ein verschlagener Regisseur arrangiert der Maler die Beleuchtung und die sichtbaren Gegenstände des Werks mit bewusst offen gehaltenem Ende. Ähnlich auch wie bei einigen Mischtechniken der Papiermalerei, bei denen der Künstler nur ganz ausgesuchte Details vervollständigt (wie z.B. ein Kleid, eine Insel oder ein paar Paprikaschoten). Elemente, die ursprünglich als vollkommen zufällig gewählt erscheinen, später aber in ihrer Einbindung die Geheimnisse eines exakt definierten Projekts preisgeben, eine akkurate, geheime sichtbare Spur legen, auf der die Objekte sich scheinbar unerklärlich vom abstrakten, nicht materiellen Weiß des Hintergrunds abheben.
Mithilfe dieser Erklärungen könnte ein nunmehr wacheres Auge versuchen, alle Werke der Ausstellung zu interpretieren und den geheimen Weg zu erkennen, auf dem der Künstler Lösungen suggeriert, sie aber nicht offen darlegen will, um den Betrachter zu zwingen, seinen trägen Blick zu schärfen und schließlich zu sehen.
Mit sicherer Hand verteilte Amendola seine Indizien, mithilfe derer der Betrachter aus der Halluzination herausfindet, das Geheimnis erkennt und sich aus dem Labyrinth befreit, in das ihn der Künstler ursprünglich gelockt hat. So ist es dann doch möglich, einem schmalen Pfad zu folgen, der die Rettung bringt, die vom Künstler konstruierten Irrwege zu umgehen und am Ende einer langen Suche schließlich den Mechanismus der Illusion intuitiv zu verstehen.

                                        Lorenzo Canova
(Aus dem Ausstellungskatalog. Rom -  2003, Galleria, Il labirinto)