ENZO AMENDOLA (Mario Lunetta) Stampa E-mail
Zurecht provozierend war Emile Zola davon überzeugt, daß die „Kunst nur vom Fanatismus lebe“. So behauptete er in einem sehr militanten Aufsatz über den abgöttisch verehrten Manet im Januar 1867, daß das Auffälligste an der Arbeit des Malers der Olympia dessen fehlerlose Präzision des Auges sei, die „notwendige Konsequenz der genauen Befolgung des Gesetzes der Werte“. Ganz großartig schreibt Zola weiter: „Die große Persönlichkeit des Künstlers besteht in der Art der Struktur seines Auges: es sieht Blond und sieht für die Massen“.
Derartige Beobachtungen riefen sich in mein Gedächtnis, als ich die Reihe der neueren Gemälde und Pastellbilder von Enzo Amendola sah. Vielleicht völlig willkürliche Assoziationen, dennoch nicht ganz unschlüssige oder ohne irgendeinen Grund glaube ich das: rein grundsätzlich und theoretisch natürlich, unbeachtet der nicht existierenden Verwandtschaft oder Abstammung des römischen Künstlers von dem großen Impressionisten. Dennoch, auch unser Amendola sieht, auf seine ganz persönliche Art, Blond und für die Massen. Er betrachtet die Welt, als sei sie vom Licht durchdrungen und durchkreuzt, und in dieses grenzenlose, helle Licht stellt er seine Körper, seine Stilleben, seine beunruhigenden archäologischen Fundstücke.
In diesem ewigen und totalisierenden Licht des Meeres leben seine Massen, aber ihr Leben ist genau so unbegreifbar wie das von Abziehbildern... ihr Sein als Masse ist der Volumetrie, der Maßanalyse beraubt, ihre Existenz schließlich auf gleiche Art labil und verzaubert wie die von auf transparent sensiblen und kontrastscharfen Druckplatten reproduzierte Figuren.
Das Meer und alles was dieses durchkreuzt, Yachten, Boote und Fähren, bestimmt vielfach den Hintergrund, gehört zu den poetischen Zentralthemen dieser Gemälde. Aber in diesem Meer gibt es niemals irgendetwas Malerisches im Sinne von piktoresk, der Künstler verliert sich nicht in ganz einfachen visuellen Suggestionen. Es gibt da, meint man, immer einen Raum von Respekt (und Verdächtigkeit) zwischen seinem Blick und der Starre des Szenarios, einen Raum, der auf gewisse Rätsel schließen lässt, ja sogar verstörte, immer stärker werdende Beklemmungen hervorruft. Diese blaugrüne Weite in ihrer platten Flachheit und ihrer eingefrorenen Hitze machen ganz den Anschein, sich völlig unvermittelt in eine tiefe Schattenwelt verwandeln zu können. Ein somit völlig unnatürliches Meer trotz seiner intensiven, blendenden Helligkeit. Ein obskures, existentielles Meer.  Ich habe vom Rätsel gesprochen, denn ich denke, der gesamte künstlerische Weg in den Werken Amendolas wird von einem scharfen Sinn, einem Bewusstseins geprägt, daß in allem was man sieht, ein Kern von Unerkennbarkeit versteckt liegt, und daß sogar jeder, der versucht zu sehen, ebenso von einem unerklärbaren Logos geprägt wird. Versuchen wir uns diesen Geschöpfen anzunähern, die so fehlerfrei, absolut sicher, mit so perfektem räumlichen und farblichen Können gemalt wurden. Die dargestellten Männer und Frauen, vor allem junge oder sehr junge Menschen, erscheinen wie überrascht in ihrer hermetischen Fragestellung, wie in einer Wartehaltung, apathisch und dennoch auf geheimnisvolle Art leidenschaftlich. Sie haben Fragen, die sie nicht in Worte fassen können, warten auf eine Antwort auf die Frage zu leben.  In diesem Sinn könnte man die faszinierende Malerei Amendolas, und das meine ich nun gar nicht witzig, als „metaphysisches Quiz“ bezeichnen.
Ein metaphysisches Quiz,  jedoch aus dem distanzierenden Blickwinkel der Filmkunst. Der zufällige, oft überraschende Ausschnitt dieser Bilder, entspricht in der Tat der klassischen schrägen Kameraeinstellung. Das außerordentliche Licht der Verkündung entspringt einer Art unfreiwilliger Verwirrtheit, welche die Gesten diese Menschen bestimmt, oder sie vielmehr in einem blockierten Raum  ihrerseits blockiert. Das was ihnen in diesem unsicheren und flüchtigen Moment des Wartens (Waitings) unabwendbar widerfährt, ist die Enttäuschung. Gibt es in der Kunst letztendlich eine verborgene Stimmung (mood) des 20. Jahrhunderts?
Enttäuschung und Ernüchterung durchziehen mit ihren leisen Pulsschlägen alle Kunstrichtungen des vergangenen Jahrhunderts, die sich nicht direkt der Tragik oder der Beschwörung von Katastrophen verschrieb. Der gleiche Aufruf zur Ordnung (rappel a l’ordre), der dem Sturm der Avantgarden folgte, beklagt die Enttäuschung als persönliche Wunde. Hierzulande, (in Italien, Verm. d. Übers.) tragen die Valori Plastici (die Künstler der „plastischen Werte“, Verm. d. Übers.) die Enttäuschung sogar auf hohen Fahnen, und der Realismo magico (zauberhafte Realismus Verm. d.Übers.) des zartfühlenden Donghi versucht sich ihrer mit einem flüchtigen Lächeln zu entziehen. Fest steht, daß mit dem Ende der Avantgarden die Welt stillsteht. Die Sprache der Kunst zieht sich zurück, in sich selbst, und sinniert.  Ein tiefes Schweigen: ja sogar Passivität. Die fast fanatische Brillanz eines Künstlers wie Amendola, sein Schweigen, seine Immobilität verraten dagegen stark allarmierende Vibrationen. Und genau hier, in seinem Bewusstsein des heutigen mal de vivre, liegt der große Unterschied zu einem gewissen auf Manieren bedachtem Donghi oder zu gewissen Neigungen einer Naivmalerei, einer kleinen auch italienischen, an „Sauberkeit“ erkrankten Variante, die sich mühselig durch die 50er und beginnenden 60er Jahre quälte: ja, der große Unterschied besteht eindeutig in den Absichten, in der Kultur und der Intelligenz. Amendola ist ein wahrer Könner, seine meisterhafte Malerei erreicht – am Ende eines hartnäckigen Filterprozesses -  ihre heutige, bewundernswerte Zuspitzung und Definition in all ihrem poetischen Ausmaß: so findet man milchiges, staubiges Licht wie bei Vermeer,  oder „das Reich der Lichter“ - die illusionistischen Lichteffekte und Schaufenster eines Magritte, die unvergesslichen Einstellungen von Morandi, und für jeden Italiener ganz natürlich, eine immer präsente Hommage (oder in jedem Fall Erinnerung) an den größten Meister, Piero della Francesca.
Das Ergebnis ist vor allem ein entschlossener Abschied von jener Enttäuschung und der zuvor erwähnten frustrierten Nostalgie. Und es ist vor allem ein geheimnisvoller weltlicher Sinn des Lebens, das in seiner Stärke wahrgenommen wird, dessen Bedrohung oder dessen flüchtig dargestellter Schattenseite, die wiederum auf Zerstörung und Tod anspielt, man mit trockenem Auge begegnet.  Und für diese Zerstörung und Tod mitten in einer großen Freude und Wärme des Sonnenlichts und des Meeres stehen emblematisch ambivalent, zweideutig und nicht fassbar die keramischen Antlitze der antiken Götter: Bacchus, Apoll, Aphrodite, die aber nicht im Rang des der Klassik gebürtigen Adelsdekors abgebildet sind, sondern vielmehr als Schauder erregende, stumme Gesprächspartner, (welche jedoch durchaus zu einer subtilen, von Mittäterschaft und Anklage erfüllten Beredsamkeit fähig sind). Um sie herum wandeln mit unbeweglichen Minen die menschlichen Betrachter im Museum.
Amendolas Diskurs verfolgt also drei Hauptanliegen: der Mensch (zuweilen mit tierischem Anhang: das geradezu blitzartige Erscheinen eines Hundes, sowohl auf den Öl- wie auf den Pastellbildern); die Fundstücke im Museum; die Landschaften am Meer, (hauptsächlich die der Äolischen Inseln vermutlich, im Norden Siziliens). Die farbliche Antwort auf einen dermaßen starken mediterranen Lichteinfall ist, so scheint es zumindest, von abgestrafter Unverschämtheit: starre Bildausschnitte, auffällig kontrastarme Weiten, eine unterernährte Farbenpalette. Die Entfachungen dieser Bilder und Zeichnungen werden vor allem durch einen paradoxen, erfundenen und abnormen Gebrauch der Zusammenstellungen erreicht: hierdurch zeigt sich sogar die Natur als verfälscht und auf gar keine mimische Regung zurückführbar. In dieser verfremdeten Ruhe vibriert der Klang gewisser konzentrierter Rot-, und Violett-, überraschender Blau- und Grün-Tonalitäten: und die menschliche Gestalt erscheint, selbst in ihrer schutzlosesten Exposition des Körpers, wie in ein Theater eingeschlossen: nur im (inneren) Monolog gefangen, unfähig zu einer offenen Auseinandersetzung, bestenfalls in einer Dreiviertel-Ansicht oder die Schulter zeigend, als sei auch ihre psychische Achse verdreht worden, wie schwache Vorzeichen der Angst. In diesen Gemälden, in diesen Pastellbildern kennt Keiner Keinen und genau deshalb verheimlicht eine so dargestellte Sanftmut eine gehörige Dosis von Aggressivität. Und, das brauchen wir nicht zu beschönigen, es geht um die große Aggressivität dieser Welt: um die gleiche Gewalt des täglichen Lebens, die keine traumhafte Meereslandschaft, keine Wiederbelebung von antiken Göttern exorzieren kann. Eine Gewalt, die diese streng geheime Malerei ohne großes Aufheben, mit rein dichterischer Kraft und präzis gewählten Stilmitteln hervortreten lässt.
Mario Lunetta
(Ausstellungskatalog 1997, Galleria Lombardi, Rom)